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Wilfried Stroh:
O Latinitas!
Über Erfahrungen mit lebendigem Latein ist zu berichten. Manche meinen, das sei eine contradictio in adiecto, denn Latein sei nun einmal - leider, sagt man, zum Glück, denkt man - eine tote Sprache. Wenn es tot ist, wann ist es dann eigentlich gestorben? Etwa vor knapp dreißig Jahren, als man aufhörte, die Messen auf lateinisch zu zelebrieren? Oder schon vor gut hundert Jahren, als man, dem Mahnruf S. M. Wilhelms II. folgend, den lateinischen Aufsatz, den Karl Marx noch schrieb, aus den Schulen verbannte? Oder vor dreihundert Jahren, als man aufhörte, lateinische Romane zu verfassen? Oder vor sechshundert Jahren, als cicerosüchtige Humanisten dem lebendigen Latein des Mittelalters, wie man gerne sagt, "den Todesstoß gaben"? Oder, noch einmal tausend Jahre früher, als man z.Zt. des alten Donat in den Schulen ein Latein konservierte, das schon nicht mehr ganz mit dem gesprochenen übereinstimmte? Wahrscheinlich kann man sogar noch weiter zurückgehen.
Latein, so zeigt sich, ist nicht einfach in dem Sinne tot wie Cicero und Vergil tot sind, denn es ist nicht, wie diese beiden, einen, sondern viele, sukzessive Tode gestorben. Und es hat in gewisser Weise alle sieghaft überlebt. Nicht so sehr weil es, wie die altphilologische Reklame verkündet, in den Fremdwörtern und Lehnübersetzungen der modernen Sprachen, in Dingen also wie Computer und Viren, Mitlaut und Gewissen, fortlebt - mit den sehr übertreibenden "Votivtafeln" (1797) von Schiller und Goethe zu reden:
Tote Sprachen nennt ihr die Sprache des Flaccus und Pindar;
Und von beiden nur kommt, was in der unsrigen lebt -,
sondern weil kein Tod der Sprache einen daran hindert, sich der Nekrophilie zu befleißigen und die schöne Leiche kräftiglich zu poussieren. Man glaubt gar nicht, wie ihr das auf die Sprünge hilft - der lateinische Poet Josef Eberle aus Rottenburg wußte es noch besser als die deutschen Dioskuren von Weimar:
O quotiens obitum linguae statuere Latinae!
Tot tamen exsequiis salva superstes erat.
Spaß beiseite! (quamquam ridentem dicere verum quid vetat?) Den letztlich vielleicht fatalsten Tod, jedenfalls was die Arbeitsplatzbeschaffung für Philologen angeht, starb die lateinische Sprache im 18. Jahrhundert. Damals nämlich, als sie aufhörte, die international verbindliche und verbindende Sprache der Wissenschaft zu sein, verlor sie auch ihren bis dato wichtigsten Sitz im Leben; und es fehlte schon damals nicht an Stimmen, die sie als überflüssigen Ballast aus der allgemeinen Schule vertreiben oder doch stark reduzieren wollten. In der Abwehr dieser so naheliegenden Reform enstand nun die Theorie der formalen Bildung, die seitdem von Friedrich Gedike bis zu Friedrich Maier - die Didaktik, jedenfalls was den Sprachunterricht angeht, beherrscht: Danach kommt es weniger darauf an, Latein um seiner selbst willen zu lernen, als vielmehr, um an ihm die geistigen Kräfte zu schulen, d.h., wenn man hoch pokert, das 'logische Denken' zu lernen, wenn man vorsichtiger ist, Einblick in die Struktur von Sprache und allerlei Verstandeskategorien zu gewinnen ...
Aber auch diese höchst gefährliche Theorie war für das lebendig geübte Latein noch längst nicht sofort verhängnisvoll. Zumindest noch in den Gymnasien der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Latein exzessiv betrieben, im Schreiben und Sprechen, lange Zeit sogar noch im Versemachen: Das Latein dieses sog. Neuhumanismus, das in der Mitte des Jahrhunderts von Stilkoryphäen wie Krebs, Nägelsbach, Seyffert betreut wird, ist schöner, reiner und schwungvoller als das manchmal etwas verknöcherte Wissenschaftslatein des vorausgehenden Jahrhunderts. Erst dann, als unter dem Druck der Realfächer die Lateinstunden reduziert werden, gibt die Doktrin der formalen Bildung dem Verzicht auf den lebendigen Sprachgebrauch seine theoretische Rechtfertigung. Mentale Kräfte schulen, grammatische Strukturen analysieren kann man auch in gedrungener Zeit. Und Anatomie lernt man wohl überhaupt zweckmäßigerweise am Leichnam: Gerade weil Latein eine tote Sprache sei, so verläuft eine sehr beliebte Überlegung, könne man an ihr das Wesen von Sprache am besten erkennen. Und wenn dann, nach einem so betriebenen Sprachunterricht, der formal prächtig geschulte Schülergeist später mit der Lektüre von Cicero und Seneca nicht so recht vorankommt, dann läßt sich vielleicht auch dem ein allgemeinbildender Sinn abgewinnen: Das notwendig statarische oder gar mikroskopische Lesen könnte ja wohl gar ein wohltätiges Gegengewicht bilden gegen das oberflächliche Textverschlingen, wie es unsere gehetzten Zeitgenossen außerhalb des Lateinunterrichts zu praktizieren pflegen. Aber wirklich befriedigen kann diese Auskunft auf die Dauer auch wohl den progressivsten Didaktiker nicht.
So bleibt die grob skizzierte Entwicklung der Lateindidaktik, die schon in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg einen gewissen Abschluß erreicht, nie ohne protestierende Gegenstimmen. Während der die Mehrheit vertretende Lateindidaktiker Max Krüger konstatiert: "Die Zeit des Latine loqui et scribere [...] ist vorbei" (1930), fordert ein anderer (der Reformpädagoge Georg Rosenthal) "lebendiges", und das heißt vor allem: gesprochenes "Latein" im Klassenzimmer; und die "Kurse für Lateinsprechen", die er für die Universitäten postuliert, werden von keinem Geringeren als dem großen Gräzisten Werner Jaeger sogar in homerischem Tone geweissagt (1920): "Es wird der Tag kommen, wo wir Universitätsprofessoren von unseren Kathedern hinuntersteigen und mit den Studenten wieder lateinisch und griechisch sprechen und schreiben werden, weil ohne diese Voraussetzungen alle unsere höhere Wissenschaft ins Bodenlose gesäet wird". Ein gutes Stück weiter noch geht der in den Dreißigerjahren in München entstandene Verein Societas Latina - nicht der einzige seiner Art -, der sich vor allem mit seiner gleichnamigen lateinischen Zeitschrift das Ziel setzt, "durch fortgesetzte Erörterung aller einschlägigen Fragen das Weltspracheproblem allmählich zu klären und durch praktische Beispiele die Anpassungsfähigkeit des Lateinischen zu beweisen", mit anderen Worten: Latein wieder, wie im ancien régime, zur führenden internationalen Kommunikationssprache zu machen B eine Absicht, die immerhin auch schon vom Gräzisten Hermann Diels und von Ludwig Traube, dem Begründer der Mittellateinischen Philologie, vertreten wurde.
Die damit beginnende Bewegung des sogenannten 'Latin vivant', das heute vor allem etwa in der Saarbrückener 'Societas Latina' des dynamischen Benediktinerpaters Dr. Caelestis Eichenseer praktiziert wird, bleibt nicht ohne Einfluß auch auf Schule und Universität. Das geistsprühende Büchlein "Sprechen Sie lateinisch?" von Capellanus wird, bis heute immer wieder neu aufgelegt und bearbeitet (1890-151979), ein geheimer Bestseller bei Lateinlehrern. Bei einem großen, auch in der Presse viel beachteten, internationalen lateinischen Kongreß in Avignon fordern 1956 Vertreter vor allem der Universitätslatinistik eine Neuorientierung des Lateinunterrichts unter Einbeziehung der "méthode directe". In Deutschland sind es in dieser Zeit renommierte Latinisten wie Karl Büchner, Erich Burck und Ernst Zinn, die zum Lateinschreiben und -sprechen ermuntern (und die da und dort sogar einmal mit gutem Beispiel vorangehen). Als Vertreter der Pädagogik setzt sich der gewiß nicht minder angesehene und jedenfalls höchst lebensnahe Hartmut von Hentig für Lateinsprechen im Unterricht ein. Und so geben die seit den Fünfzigerjahren vor allem an deutschen Universitäten entstandenen Colloquia Latina (durchaus im Sinn von Georg Rosenthal) bis heute vielfach den angehenden Lehrern Hilfestellung für einen den aktiven Sprachgebrauch miteinbeziehenden Lateinunterricht.
Wenn das sich damals, Ende der Fünfzigerjahre, abzeichnende Bündnis von 'Latin vivant' und zünftiger Latinistik später wieder vielfach zerbröckelt ist (und so auch keinen wirklichen Einfluß auf die gängige Theorie der lateinischen Fachdidaktik genommen hat), so liegt das an bedauerlichen, aber doch nicht unbegreiflichen Bedenklichkeiten auf beiden Seiten. Der von der Universität kommende Lateinspezialist kann es nur schwer verstehen, wie man etwa seinen Ehrgeiz darein setzen kann, die ganze moderne Welt, bis in die Details von Wissenschaft und Technik, in lateinische Begrifflichkeit zu bringen (so als wollte man, um das mündliche Dictum eines Kritikers zu referieren "ein Telefonbuch auf römische Ziffern umschreiben"). Umgekehrt sind dem Mann des 'Latin vivant' die Hemmungen schlechtweg unbegreiflich, die den Fachmann (der aber ja doch die Tücken des Lateinischen kennt!), daran hindern, sich unbekümmert in der von ihm betreuten und beherrrschten Sprache auszudrücken. Er sieht darin nur geistige Bequemlichkeit (und damit hat er z. T. natürlich auch Recht). Was Wunder, wenn manches hoffnungsvoll begonnene Unternehmen des lebendigen Latein ins Konventionelle zurücksinkt? Die im Zug von Avignon begründete, von Pierre Grimal betreute Zeitschrift 'Vita Latina' hat heute nur noch Spurenelemente lebendigen Sprachgebrauchs. Und die ebenfalls das Erbe von Avignon aufgreifende römische Academia LatinitatiFovendae (deren Mitglied zu sein, ich die Ehre habe) hält nicht nur ihre Sitzungen auf italienisch ab, sondern beginnt sogar, bei ihren lateinischen Weltkongressen auch neuere Sprachen als fast gleichberechtigt zuzulassen. Wäre wir mit unserem lebendigen Latein schon wieder einmal am Ende?
Es sind die großen Humanisten unseres Jahrhunderts, die durch ihr Beispiel gezeigt haben, wie es möglich ist, auch heute lebendiges Latein, beflügelt vom Zauber der Sprache und doch auch gezügelt vom Ernst der Wissenschaft, fruchtbar und schöpferisch zu betreiben. Drei von ihnen, die ich noch persönlich habe kennenlernen dürfen B ich spreche mit Absicht jetzt nur von den Toten B möchte ich nennen: Der schon erwähnte Schwabe Josef Eberle, poeta laureatus der Universität Tübingen, nutzte als jahrzehntelanger Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung die Chance, eigene und fremde lateinische Gedichte mit viel Humor unters Volk zu bringen. Der deutsch-amerikanische Jurist, Journalist und Philologe Harry C. Schnur hielt ebenfalls in Tübingen als Professor C. Arrius Nurus Vorlesungen in lateinischer Sprache, die Hörer aller Fakultäten hinrissen, und er schrieb vor allem Satiren und Epigramme, die zum Amüsantesten in der neulateinischen Poesie gehören. Am meisten bewegt aber hat mich persönlich die Begegnung mit Jan Novák, dem tschechischen Musiker und Humanisten: In seinem Werk - nicht bei den (zu Recht) Berühmten, Orff, Strawinsky B hat die tiefste Begegnung von moderner Musik und klassischem Latein stattgefunden; er hat wie kein anderer den Rhythmus der antiken Poesie wiederbelebt und sogar kreativ, auch als Dichter, bereichert. Er beschämte mich, indem er nur Latein mit mir sprach und sich verwundert darüber gab, wie gerade ich, bei meinem Beruf, je freiwillig eine andere Sprache verwenden könnte. Pater, peccavi: Ich habe versucht, mich zu bessern.
Der Begegnung mit Jan Novák entstammten unsere ersten gemeinsamen lateinischen Festspiele, die LVDI LATINI 1983 auf Schloß Ellwangen. Hier gelang es uns, die sonst oft fast unverträglichen Lateiner der verschiedenen Couleur, vom klassisch-philologischen Professor (z. B. Hildebrecht Hommel) bis zum Latin-vivant-Radiologen Guy Licoppe, aber auch Pfarrer, Juristen, Hausfrauen und natürlich vor allem viele Lehrer, Studenten und Schüler an drei Tagen zu lateinischem Vortrag und Film, zu Gespräch und Gesang zu vereinen. Vor allem zu Gesang - denn es sind Musen und Musik, die dem modernen Menschen den Königsweg zur lateinischen Sprache eröffnen. Sogar im Ulmer Sendestudio des Süddeutschen Rundfunks trällerte man, wie ich zu meiner Freude hörte, den Refrain des Lieds ("Ludi sunt Latini... "), das seitdem - trotz oder wegen seiner Banalität - ein kleines Markenzeichen des lebendigen Lateins geworden ist.
O Latinitas!
quot et quanta das
gaudia et carmina
cum fidi- fidibus!
Wichtig war besonders die zweite, antiphilologische Strophe, in der wir in der ironischen Pose eines rabiat gewordenen 'Latin vivant' uns von der Schulwissenschaft verabschiedeten:
Dicimus magistris, magistris
grammaticis ut vale- valeant,
duris qui capistris, capistris
et os et fauces colli- colligant.
Den Ersatz für diesen Ausfall bot uns ein unerwarteter Schutzpatron, den wir in der dritten, der theologischen Strophe präsentierten: Gott Amor.
Amor nos docebit, docebit,
qui regnat inter numi- numina,
illi qui studebit, studebit,
et discet styli lumi- lumina.
AMOR DOCET MVSICAM war das auch auf einem Button mit entsprechendem Emblem verbreitete Motto unserer Festspiele, und damit sollte nicht nur unser vielfacher Dilettantismus entschuldigt, sondern vor allem auch ausdrücklich gesagt sein, daß eine schiere Liebe zur lateinischen Sprache und ihrer Schönheit alle Nöte der didaktischen Rechtfertigung selbstbewußt und siegessicher überleben kann. Die letzte, die sadistische Strophe wurde leider ein kleiner Bumerang:
Studia Latina, Latina,
qui colit non fideli- deliter,
ima in latrina, latrina,
dispereat crudeli- deliter.
Unsere Pointe wurde nämlich von der GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft) unlängst zu dem abscheulichen Slogan"Latinum in latrinam" verballhornt. Schon das schlechte Homoioteleuton zeigt, daß wir, nicht sie, Recht haben.
Der schwer zu beschreibende Erfolg unserer LVDI LATINI, die ich, zum ersten Mal gehüllt in den Namen Valahfrid, dann Valahfridus, leitete, war für viele Teilnehmer so überraschend und überwältigend, daß sofort der Wunsch laut wurde, nun doch auch gleich mit einem neuen Programm vor allem zur Reform des Lateinunterrichts an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe dem widerraten, gewarnt vor allem durch das Beispiel Manfred Fuhrmanns, der mit seinem zehn, fünfzehn Jahre zuvor vielfach beifällig aufgenommenen, bis heute wichtigen Programm zur Erneuerung der Latinistik insgesamt doch so wenig Einfluß auf die Praxis gehabt hatte. Rätlicher schien es mir, ganz auf die Kraft des Beispiels zu setzen, auf die Ausstrahlung und Überzeugung der Sache selber: Die trefflichsten Grundsätze kann man ja widerlegen und zerreden, gegen ein gutes lateinisches Lied ist der Widersacher machtlos. So begnügte ich mich damit, in meinem Bericht über die ersten LVDI LATINI festzustellen, daß diese ein doppeltes Ziel gehabt hätten: extra muros der Öffentlichkeit zu demonstrieren, welche Schätze in der lateinischen Literatur und Sprache liegen, intra muros die Lateinlehrer zu einem unbekümmerteren und lebendigeren Einsatz ihrer Sprache im Unterricht zu ermuntern. Von diesen Zielen war das erste zunächst leichter zu erreichen: Die Öffentlichkeitsresonanz dieser und der folgenden LVDI LATINI war lebhaft, und immer wieder hörte ich, man habe ja gar nicht gewußt, daß Latein überhaupt ein so schöne und klingende Sprache sei, habe sie mehr für eine Art Mathematik und Denksport gehalten. Dem Mißbehagen intra muros gab dagegen etwa ein Studiosus anonymen Ausdruck, der unter meine Ankündigung der LVDI LATINI am Schwarzen Brett des Institus schrieb: "Ineptissime rerum, ineptissima pro arte tractans, utinam domi delirasses, uxorem tractasses, sobrioribus nobis ridiculissimis nugis taedium non exhibens amicissimus silentio fuisses - ne dicam philosophissimus - Valahfride, oh, imbecillissime omnium, oh, si tacuisses"; und auch manche andere mahnten mich ernstlich, diesen Irrweg doch rasch wieder zu verlassen. Aber nie in meinem Leben hatte ich so entschieden das Gefühl gehabt, das Richtige zu tun.
So ging es auch Jan Novák. Er trieb geradezu fieberhaft die Veranstaltung neuer LVDI LATINI voran, wollte sie schon ein dreiviertel Jahr später in (seiner früheren Wahlheimat) Rovereto wiederholen. Darüber wäre es, da ich meine Kräfte einer Dauerbelastung als Professor und Festspielleiter nicht gewachsen glaubte, schon fast zu einem Zerwürfnis gekommen - hätte sich nicht der Konflikt auf die freilich traurigste und schrecklichste Weise gelöst. Jan Novák erkrankte schwer. Schon im Sommer 1984 war mir klar, daß ich auf seine beflügelnde Mitarbeit nicht mehr würde rechnen können. Um Kräfte zur Unterstützung der Arbeit mobil zu machen, gründete ich also im Oktober 1984, kurz vor Nováks Tod, den Verein Sodalitas LVDIS LATINIS faciundis e.V., beraten von einem Juristen und Römischrechtler unserer Universität, dem unvergeßlichen, im Jahr 1994 plötzlich an schierer Überarbeitung verstorbenen Dr. Diederich Behrend. Der Verein bemühte sich vor allem um die Geldbeschaffung. Es gelang, für die kommenden LVDI LATINI im Frühjahr 1985 in Augsburg zur 2000-Jahr-Feier immerhin über 70.000 DM an Spenden und Zuschüssen aufzutreiben - schon für 100 DM gab es ein lateinisches Diplom, für 500 DM die literarische Verewigung im lateinischen Gedicht -, um ein umfangreiches, sieben Tage dauerndes Programm zu finanzieren. Geboten wurde, ausschließlich in lateinischer Sprache, unterstützt allenfalls durch zweisprachige Handzettel, fast alles nur Denkbare: Vorträge, Theater- und Pantomimenaufführung, Stadt- und Museumsbesichtigung, Konzerte bis zum abendfüllenden Oratorium (Philidors Carmen Saeculare, die größte neuzeitliche Vertonung eines antiken Textes, wurde dazu förmlich ausgegraben und von meinem damaligen Assistenten, dem Philologen und Musiker Dr. Jürgen Leonhardt, jetzt Professor in Rostock, aufbereitet) und vor allem auch einen großen, revueartigen, Musik, Tanz und Rede vereinenden Eröffnungsabend in dem, neben viel anderer geistlicher und weltlicher Prominenz, unser Schutzgott Amor persönlich auftrat, aber auch z. B. ein Dichter aus Japan und sieben Lateinschüler aus dem zentralafrikanischen Malawi, die der lateinbegeisterte Staatschef Dr. Kamuzu Banda, "from his own pocket", wie der Botschafter sagte, auf unsere Einladung hin zu uns gesandt hatte. In der begründeten Annahme, daß man mir eine falsche Bescheidenheit ohnehin nicht mehr glauben würde, hatte ich die Augsburger LVDI sogleich als "das größte Lateinereignis seit Ende des Imperium Romanum" angekündigt, und zumindest der Medienerfolg überbot auch kühnere Erwartungen: Besonders durch einen einfühlsamen Artikel des Time Magazine ("Call this a dead language?") fand unser Unternehmen eine geradezu weltweite, auch durch viele, viele Briefe dokumentierte Resonanz. Noch wichtiger als dieses war mir aber ein anderes. Um die Eigentätigkeit der LVDI-Teilnehmer zu steigern, hatten wir Kurse zu einzelnen Themen, sog. Scholae eingerichtet, in denen alle ohne Scheu im kleineren Kreis lateinisch sprechen konnten. Besonders von den Lateinlehrern, auf die ja doch das meiste ankommt, wurde diese Möglichkeit dankbar als Fortbildungschance genutzt. Im übrigen war ich aber mit der Qualität unserer Darbietungen nicht durchweg zufrieden; da ich, völlig überfordert, mich um die Vorbereitung des einzelnen kaum mehr hatte kümmern können, geriet manches allzu flau und konventionell. Die nächsten LVDI LATINI würden kürzer und niveauvoller sein müssen.
Trotz wohlgemeinter und berechtigter Warnung durch Peter Neukam vom bayerischen Kultusministerium, veranstalteten wir, nun schon wie in einem lateinischen Festrausch, viel zu bald die nächsten LVDI LATINI im Herbst 1986. Dem Charakter der alten Bischofsstadt Freising entsprechend, sollten sie diesmal die bisher eher vernachlässigte christliche Latinität zur Sprache bringen. Sanctus Corbinianus selber erstand aus seinem Grab bei der Eröffnungsfeier, um gegen heidnischen Lärm und unbayerische Lateinaussprache auf seinem Domberg zu wettern. Er ließ sich aber von mir und meiner - immer unentbehrlicher werdenden - Partnerin Bernadilla (inzwischen Dr. Bernadette Schnyder, Basel) besänftigen, zumal als wir uns zur christlichen Taufe des lausbübischen Amor und zur Aufführung einer kleinen geistlichen Oper verpflichteten. Mehr als bisher gelang es uns diesmal, unsere Vorstellungen zu verwirklichen und den eigenen Ansprüchen zu genügen. In den Scholae war bereits jetzt ein spürbarer Zuwachs an Lateinkönnerschaft gegenüber Ellwangen und Augsburg zu notieren; geradezu glanzvoll verlief unser Novák-Konzert und der von Bernadilla ausgerichtete Schlußball (saltatio publica) mit Talentschuppen der Teilnehmer (deliciae Latinae). Der Auftritt des leibhaftigen, im Fernsehen sogar frei lateinisch parlierenden Kultusministers Hans Maier gab uns auch das Gefühl der Anerkennung an der strategisch wichtigsten Stelle (denn daß Franz Josef Strauß seine benevolentia sichtbarlich über uns strahlen ließ, war doch mehr für das äußere Gepränge wichtig). Entscheidend war, mehr noch als bei früheren LVDI, das Gefühl einer renaissancehaften Aufbruchstimmung bei den zahlreich teilnehmenden Lateinlehrern: Es war eine Lust, Latein zu treiben und nichts schien mehr unmöglich ... o saeculum! o litterae!
Dem süßen Wahn folgte die kalte Dusche. In den beschwingten Tagen direkt vor den LVDI hatte der Bayerische Rundfunk ein etwa halbstündiges Gespräch mit mir aufgenommen, in dem ich, neben vielem anderen, auch einige etwas unbedachte Kritik an Latein und Lateinunterricht in der heutigen Welt losgeworden war (unter anderem: Falsch betriebenes Latein sei das Fach, "wo die Schule am meisten Schule ist"). Ein fatal geschickter Journalist schnitt die Sache auf wenige Minuten polemischer Highlights (meist ohne die nötigen Begründungen) zusammen, und schon am Tag der LVDI-Eröffnung war der nestbeschmutzende Valahfridus in Bayern I zur Zeit der höchsten Einschaltquote, d.h. morgens während des Zähneputzens, zu hören. Da schrillte denn doch im Kultusministerium und beim Deutschen Altphilogenverband die Alarmglocke; und der Landesvorsitzende Friedrich Maier, überzeugt davon, daß ich nunmehr dem Lateinunterricht an bayerischen Gymnasien endgültig den Garaus machen nicht wollte, aber würde, erteilte mir in seinem Mitteilungsblatt die verdiente Abreibung, ich fürchte: aus dem Herzen einer schweigenden Mehrheit. Ich schwieg nun auch stille und lernte meine Lektion, froh vor allem darüber, daß sich an dem persönlich guten, mitunter geradezu herzlichen Einvernehmen mit Friedrich Maier nichts änderte (inzwischen ist er längst Mitglied der Sodalitas). Erfreulich blieb zum Glück auch unser Verhältnis zur Schule an ihrer Basis: Regelmäßig wurde ich weiterhin mit Tänzerin Bernadilla und Pianist Georgius (Leonhardt) zu Werbevorträgen für den lateinischen Unterricht an diverse Gymnasien eingeladen. So blieb wenigstens ein gewisser Erfolg mehr extra als intra muros, auch wenn in solchen Vorträgen unser Eigenstes und Eigentliches, das gesprochene Latein, nicht so sehr dominieren konnte.
Klar war inzwischen auch geworden, daß wir unsere Kräfte übernommen hatten und daß es so schnell nicht mehr LVDI LATINI geben würde. Von 1988-1990 veranstalteten wir nun in Freising, mit Unterstützung des trefflichen Domgymnasiums, alljährlich bloße Scholae Frisingenses, eine Art Kongreß, bei dem das bisher integrierte Kursprogramm der LVDI LATINI selbständig gemacht und ausgebaut wurde. Insgesamt 20 bis 25 Scholarchen aus ganz Europa, darunter auch renommierte Professoren, waren in diesen drei Jahren bereit, nicht nur ohne Honorar lateinisch zu unterrichten, sondern auch Reise, Kost und Logis vom eigenen Konto zu begleichen: Sonst schien die Mühe der Geldbeschaffung und -bedankung nicht mehr zu bewältigen. Freilich, die Güte unserer Spender bedachte uns weiter und so kam die Versuchung, doch wieder auch mit aufwendigen Konzerten und Abendveranstaltungen ein breiteres Publikum anzulocken. Nur 1988 hielten wir das geplante, kräfteschonende Konzept einigermaßen durch; die Scholae von 1989 und 1990 wuchsen schon wieder zu förmlichen LVDI LATINI aus B 1989 gab es vor allem auch einen gesamtbayerischen Dies Latinus - und zwar solchen, die mich jeweils an den Rand meiner physischen und psychischen Kräfte brachten (natürlich auch wegen der unermüdlichen Tätigkeit des livor edax). Als dann auch noch die beiden wichtigsten socii Bernadilla und Georgius berufsbedingt auszufallen begannen, beschloß ich, auch die Scholae wieder einzustellen und die Arbeit unserer Sodalitas einstweilen auf kleinere Unternehmungen zu beschränken. An unserer Stelle veranstaltete der mittlerweile entstandene Schwester- bzw. Tochterverein L.V.P.A. (Latinitati Vivae Provehendae Associatio) mehrfach, vor allem in Prag, ähnlich angelegte Seminaria.
Erst 1993, zum 2000. Todestag des Dichters Horaz gab es wieder ganz große Spiele, angekündigt als Ludi Horatiani, nicht als eigentliche LVDI LATINI, denn im Gegensatz zu den früheren war diesmal auch, in allerdings sehr beschränktem Umfang, der Gebrauch der deutschen Sprache als Stütze und Verständnishilfe für ein breiteres Publikum, besonders für jüngere Gymnasiasten, zugelassen. In deutscher Sprache gingen auch zum ersten Mal, um keinen Schulleiter zu verschrecken, unsere Einladungsschreiben an die bayerischen Gymnasien. Der Erfolg rechtfertigte wohl diese kleine, mittelfristige Konzession: Tausend Hörer kamen allein zu meinem rein lateinischen Eröffnungsvortrag De Horati vita et operibus; anderthalbtausend Besucher sahen an drei Abenden die ebenfalls nur lateinische Tragödie Troas von Seneca, den wir als einen fast vergessenen Meister des lateinischen Theaters nach wohl über vierhundert Jahren zum ersten Mal wieder in lateinischer Sprache auf die Bühne brachten, bejubelt vor allem wegen der wirkungsvollen Chormusik von Martin Keeser, der sich als jugendverbundener Rockmusiker doch auch allen Feinheiten der lateinischen Metrik gewachsen zeigte und - vim temperatam di quoque provehunt - sogar auf die Hilfe des Lautsprechers verzichtete. Überraschenderweise war diesmal die Wirkung extra muros gering. Kein nennenswerter Pressejournalist kam zu unseren Veranstaltungen; nur das Bayerische Fernsehen brachte einen allerdings sehr lebendigen und verständnisvollen Bericht. Offenbar haben wir mittlerweile den Reiz der Novität und des Sensationellen, der von 1982 bis 1986 so groß war, verloren, sind fast schon ein bißchen normal geworden. Deo gratias! Gerade die fast übertriebene Präsenz in den Medien konnte ja am Anfang bei Kollegen in Universität und Schule den Verdacht entstehen lassen, als sei uns überhaupt mehr an öffentlichem Spektakel als an der Sache des Lateinischen gelegen.
So ist es mir auch außerordentlich wichtig, daß ich seit 1989 in zunehmendem Maß erst außerhalb, dann aber auch innerhalb von Bayern mit lateinischem Unterricht zu Veranstaltungen der offiziellen Lehrerfortbildung eingeladen werde. Vielleicht können sogar bald die Scholae in dieser Form erneuert und fest etabliert werden. In diesen Zusammenhang gehört es, daß 1994 endlich auch ein ganzes großes Faszikel des 'Altsprachlichen Unterrichts' (Heft 5) dem Problem des Lateinsprechens im Unterricht gewidmet worden ist. Zur Zeit unserer Vereinsgründung hätte so etwas noch als hoffnungslos unaktuell gegolten; nun müssen die Ziele, für die unsere Sodalitas seit zehn Jahren kämpft, immerhin diskutiert werden B was freilich nie zu weit getrieben werden sollte: Auch in Zukunft gilt: verba docent, exempla trahunt; the proof of the pudding is in the eating. Hätte der intelligenteste und kundigste Kritiker des Lateinsprechens, Hans-Joachim Glücklich, je Gelegenheit gehabt, zu unseren Ludi oder Scholae zu kommen, würde er sicherlich manches anders beurteilen. Auch in der Fachdidaktik hat ja inzwischen ein Prozeß des Umdenkens begonnen, der nicht nach seinem Niederschlag in gedruckten Didaktiken beurteilt werden darf. Seit 1990 haben die Kongresse des Deutschen Altphilologenverbands eine officina Latina, die sich mit dem gesprochenen Latein befaßt. In Bayern sind bereits heute fast alle Fachdidaktiker an den Universitäten praktizierende Sympathisanten der loquela Latina. Und von Mund zu Mund spricht es sich weiter: Über den Erfolg im Klassenzimmer entscheidet, gegen alle Theorie der formalen Bildung, mehr die Kompetenz der lingua als die der Linguistik.
Damit wäre das Wichtigste eigentlich gesagt; aber wenigsten in Stichworten sei doch noch einiges aus diversen Arbeitsgebieten der Sodalitas in den vergangenen Jahren zusammengefaßt. Außerordentlich fruchtbar war die Zusammenarbeit mit Dr. Markus Junkelmann, der als römischer Legionär und Ritter auf dem Gebiet der experimentellen Archäologie (wie ich es getauft habe) etwas ähnliches versucht wie wir im Bereich der Sprache: Erkenntnis zu gewinnen, nicht nur durch Forschen, sondern vor allem auch durch Ausprobieren, Nachmachen, Erleben. Er hat uns durch seine mit beispiellosem Einsatz betriebenen Unternehmungen einzigartige, auch medienwirksame Bühnen für die Vorführung der lateinischen Sprache geschaffen. Mit ihm habe ich z.B. in Rom als Fetiale einen Krieg eröffnet, in Aschaffenburg als der Asche entstiegener grammaticus das Pompeianum und in Rottweil als opfernder Priester B zum Entsetzen der Geistlichkeit B ein Römermuseum eingeweiht; mit ihm haben wir auch unser bislang größtes Debakel bei einer mißlungenen römischen Reiternacht in Aalen erlebt. Sein legionärmäßiges Durchhaltevermögen und seine Lebensfreude in tausend Nöten und Geldschulden sind ein begeisterndes Vorbild.
Leidenschaftliche Zustimmung, aber z.T. auch völliges Befremden erregte mein (auf eigene Faust, ohne die Sodalitas) unternommener Versuch, Latein auch in die Politik zu bringen mit der Aktion Aeris vindices (Lateiner gegen Flughafen). Die Aktivitäten gingen von einem 1990 in zehntausend Exemplaren verbreiteten zweisprachigen Flugblatt "Quorum est caelum? - Wem gehört der Himmel" bis hin zu einer Demostration in Toga vor derm Münchner Maximilianeum (wegen der ich mit Gefängnis bedroht wurde) und zur altrömischen Verfluchung (devotio) des Flughafens München II, bei dem im Mai 1992 immerhin 500 Menschen ein deutsch-lateinisches Lied über die Geschicke der Vögel im Erdinger Moos sangen. Zu weit ging ich offenbar mit meiner Kritik bei einem 1995 in der Zentralhalle des Flughafens selber gehaltenen Vortrag "De insania uolandi - Der Traum vom Fliegen" (am dritten Jahrestag der Einweihung): Die darauf folgenden, z.T. geradezu unglaublichen Ereignisse, die auch meine berufliche Existenz gefährdet haben, betrachte ich als Wink des Himmels, seine Verteidigung vorerst offizielleren Institutionen zu überlassen. Dennoch meine ich weiterhin, daß die Freude an der Schönheit der regina linguarum wesenhaft zusammengehört mit dem Kampf gegen Häßlichkeit und Zerstörung unserer Welt. Andere freilich sind der Ansicht, Lateiner müßten, als naturgemäß konservativ, für alles sein, was Industrie und Wirtschaft sich wünschen, da diese ja auch mit ihrer bekannten Generosität die Geisteswissenschaften sponsern. Viderint posteri.
Zum letzten Mal bestieg ich selber i. J. 1988 ein Flugzeug um eine größeren Besuch in Malawi zu machen, der schon erwähnten civitas Latinissima im heißen Herzen von Afrika. Aus der geplanten Zusammenarbeit mit dem dortigen humanistischen Mustergymnasium Kamuzu Academy, wo ich einige Stunden in lateinischer Sprache unterrichtete, und dem Aufbau lateinischer Studiengänge an der Universität Zomba ist trotz großem Einsatz leider noch nicht viel geworden: Die Entfernung ist wohl einfach zu groß. Der greise frühere Staatschef, dem ich seinerzeit bescheinigte, daß er mehr für das lebendige Latein getan habe als ein anderer Politiker der Welt, wurde 1994 abgewählt und sogar u.a. wegen Mordes vor Gericht gestellt. Immerhin hat mir sein kürzlich erfolgter Freispruch bestätigt, daß ich ihn wohl zu Recht für einen "Christen und Ehrenmann" erklärt habe. Und vor allem scheint die Arbeit in Kamuzu Academy fortgesetzt zu werden. Aber Afrika als neues Bollwerk eines lebendigen Latein wird noch ein etwas fernerer Traum sein müssen.
Freude und Befriedigung brachte dagegen die Entwicklung im europäischen Osten seit der großen Wende: Latein, eben noch Sprache des Klassenfeinds, lebt wieder auf in Polen und Slowenien; vor allem natürlich in Prag und Brünn wird auch das lebendige Latein kompetent gepflegt; an der Universität von Szeged in Ungarn, wo ich 1993 (ausschließlich lateinsprechender) Gastprofessor war, wurde auf Initiative der Studenten ein Colloquium Latinum gegründet. Zu unseren Ludi Horatiani kamen von dort fünfzehn Studenten im eigenen Bus. Im übrigen dürfte man in nächster Zeit einiges auch aus Moskau hören.
In Brünn, der Heimat Jan Nováks, ist, mit partieller Hilfe auch von uns, seine Oper Dulcitius uraufgeführt worden. In Prag durfte ich schon im Frühjahr 1988 zur Einleitung seiner Kantate Ignis pro Ioanne Palach vor zweitausend Menschen im Smetanasaal lateinisch sprechen. Sonst ist die Verbreitung von Nováks lateinischem Werk auch dort eigentlich eher wieder etwas stagnierend. Der große Erfolg, den wir mit dem postum herausgegebenen Liederbuch Cantica Latina (1985 zu den Augsburger LVDI LATINI) hatten - es ist längst vergriffen -, konnten wir keinen zweiten, vergleichbaren an die Seite stellen. Die Schallplatte mit seiner Dido wurde trotz dem großen Namen Kubelik nur mäßig verkauft, zunehmend gut allerdings die leichter gestrickte Kassette Schola cantans. Auf den weltweiten Durchbruch mit dem einen, großen Werk (vielleicht den Aesopia?) warten wir noch geduldig und legen inzwischen immerhin ein Ton- und Notenarchiv an, aus dem sich vielleicht einmal eine kleine Forschungsstelle über unseren geistigen Vater und fortwirkenden spiritus rector entwickeln wird.
Genug des Rückblicks! Latein ist, wie wir sagten, viele Tode gestorben und einige davon scheinen unwiderruflich (obwohl es natürlich nichts gibt, was es nicht gäbe). W i e tot aber das Lateinische ist, darüber entscheiden letztlich nicht die Kräfte von Industrie und Politik, ja nicht einmal ein unaufhaltsamer Weltgeist, sondern nur wir selber, die Lateiner.Wenn wir die Beschäftigung mit der uns anvertrauten Sprache zu einem Mittel nur des geistigen Trainings und der Disziplinierung erniedrigen wollten, wäre der Untergang des Lateinischen vielleicht auch gar nicht allzu schmerzlich. Gelingt es uns aber wieder, den Zauber spürbar zu machen, der einst, an der Schwelle zur Neuzeit, den jungen Francesco Petrarca entzückte, die, wie er schrieb, dulcedo et sonoritas linguae, dann werden - und möge dieser Wunsch die Kraft des Omen haben - auch noch die Generationen der Zukunft ausrufen können: o Latinitas!